Ich weiß nicht, was ich davon halten soll: Einerseits ist es großartig, wenn Journalisten live von dort twittern, wo sie früher nur mit einem Schreibblock gestanden wären, um sich Notizen für den Tag danach zu machen. Andererseits frage ich mich: Muss ich nun jedem einzelnen Reporter folgen, nur damit ich immer auf dem Laufenden bin? Kann es das sein?
Bild-Reporter Daniel Cremer hat seit gestern ein paar Tausend Follower mehr, Tendenz steigend. Twitter weist mich beständig darauf hin, dass viele meiner Twitter-Kontakte ihm nun folgen. Als Kurve sieht das ungefähr so aus:
Was ist passiert? Nun, er war mehr oder weniger zufällig zur richtigen Zeit am falschen Ort, wenn man so will: Cremer berichtete über das Finale von „Germany’s Next Topmodel“ in Mannheim, als die Show wegen einer Bombendrohung abgebrochen wurde, wie man heute weiß.
In den ersten Minuten und Stunden wusste das außer Cremer anscheinend niemand so richtig – zumindest berichtete er praktisch live via Twitter und Periscope, eben unter besagtem Twitter-Account.
Warum soll ich dem Kerl folgen?
Ich habe die Berichterstattung um das GNTM-Finale nicht intensiv verfolgt – auch nicht nach dem Show-Abbruch. Aber ich habe mich schon gefragt: Sollte ich dem Kollegen nicht folgen? Und warum sollte ich das tun (oder warum gerade nicht)?
Dieses Mal habe ich mich dagegen entschieden. Weniger aus Abneigung gegen eine bestimmte Art der Berichterstattung, sondern einfach aus der Erwägung heraus: Will ich nun alles über GNTM in meiner Timeline haben (in der ja auch so genug dazu stattfindet)? Und was bekomme ich dann, wenn die Show vorbei ist?
Twitternde Reporter – ein Paradoxon
Nun gäbe es ja keinen Grund, das hier auszubreiten, wenn ich nicht glaubte, dass dahinter ein etwas generelleres Problem stecken könnte. Ich nenne es „das Paradoxon des twitternden Reporters“.
Dieses Paradoxon wird dann klar, wenn man die Sache aus Nutzerperspektive betrachtet. Als Nutzer folge ich Menschen aus einem bestimmten Grund: In der Regel ist das der, dass sie über ein Thema twittern, das mich interessiert. Wenn ich z.B. @titusgast folge, dann weiß ich, ich bekomme etwa Infos und Gedanken rund um Onlinejournalismus, Suchmaschinenoptimierung, Chancen des Medienwandels, Neuigkeiten aus dem Social-Media-Bereich und kann mich über entsprechende Themen mit ihm unterhalten (zumindest hoffe ich das).
Wenn ich hingegen einem BILD-Reporter folge, der von einem Fernseh-Event mit Models berichtet, dann könnte dies zweierlei für mich und meine Timeline bedeuten:
- Ich bekomme jetzt ganz viele News zu „Germany’s Next Topmodel“, weil der Kollege nur hierüber berichtet und ein einschlägiger Experte auf diesem Gebiet ist. Vielleicht berichtet er noch von ähnlichen Events. Ich abonniere ihn also als guten Lieferanten von Entertainment-News.
- Ich bekomme einen bunten Gemischtwarenladen an Themen – eben alles, worüber der Reporter berichtet, wenn er gerade im Dienst ist. Wenn er nicht im Dienst ist, bekomme ich nichts und muss stattdessen dem Kollegen folgen, der im Dienst ist. Wenn er über einen Autounfall berichtet, bekomme ich eben diese Infos; wenn er über einen G7-Gipfel berichtet, erfahre ich was über Politik.
Das Problem ist nun: Würde mich die Bombendrohung interessieren, hieße das ja nicht zwangsläufig, dass mich die Show per se interessiert. Und wenn der Reporter noch von anderen Themen reportiert, dann weiß ich ja nicht, ob ich das interessant finden werde. Aus Nutzersicht bedeutet das: Wie auch immer der Twitter-Reporter es macht – die Gefahr ist groß, dass er’s verkehrt macht. Würde er sich wie andere erfolgreiche Twitterer auf nur einen Themenbereich fokussieren, dürfte er nicht als Reporter über alle Gegenstände seines Reporterdaseins twittern. Würde er das mit der Fokussierung ernst nehmen, wäre er kein twitternder Reporter mehr, sondern ein twitternder Experte. Das muss sich nicht ausschließen, bedingt sich aber auch nicht. Und es zeigt eben das Paradoxon: Ein twitternder Reporter ist entweder eine thematische Wundertüte und damit kein Mehrwert im Vergleich zu seinem Brötchengeber (wenn das ein großes Massenmedium ist) oder er ist kein twitternder Reporter mehr.
Das Ganze zeigt ein Grundproblem, dem wir Journalisten uns immer häufiger stellen müssen: Wann machen wir was mit welchem Account und warum? Ja, Daniel Cremer ist für seinen Arbeitgeber unterwegs – das erkennt man klar an seinem Twitternamen. Eigentlich eine gute Lösung; doch tritt schon in diesem Twitternamen klar den Konflikt zwischen Person und Marke zutage. Ist das jetzt die BILD oder Daniel Cremer, dem ich da folge?
Sollen Reporter nun twittern oder nicht?
Keine Frage, Live-Berichterstattung via Twitter ist wichtig und richtig – man kann das ja auch ein bisschen unaufgeregter handhaben. Ich bin auch unbedingt dafür, dass große Medienunternehmen bei wichtigen Live-Ereignissen via Twitter live berichten, das ist nicht der Punkt.
Die Frage ist ja eigentlich:
- Sollten Journalisten twittern? Da meine ich: Das sollten sie dann tun, wenn sie was zu sagen haben (und ich gehe davon aus, dass die meisten Journalisten was zu sagen haben, sonst wären sie keine Journalisten).
- Sollten Reporter twittern? Hier ein klares Jein: Sie sollten dann twittern, wenn sie was zu sagen haben. Siehe oben. Aber eben nicht ausschließlich, weil sie Reporter sind – oder zumindest nicht als Privatpersonen; denn wenn sie von Ereignissen twittern, über die sie berichten, dann können sie auch als @reportervonmediumxy twittern, weil sie damit im Zweifel mehr Menschen erreichen, auch wenn das natürlich weniger persönlich ist.
Übrigens: Ich bin mir ziemlich sicher, dass die meisten aus meiner Timeline, die jetzt Daniel Cremer folgen, dies aus handwerklichem Interesse tun (Periscope! Live im Einsatz! In einer echten Redaktion!). Kann man natürlich auch machen.