Als öffentlich-rechtlicher Online-Journalist ist man in Deutschland derzeit ja so eine Art Outlaw. Denn hier wird mal wieder munter darüber diskutiert, was die Rundfunkanstalten im Internet so dürfen sollen und in der Schweiz wird demnächst einfach so über deren komplette Abschaffung abgestimmt.
„Vermutlich empfiehlt es sich für alle deutschen öffentlich-rechtlichen Sender-Strategen einen Schweizer Medien-Crashkurs zu absolvieren. What you see, is what you get!“ (Hansi Voigt)
Auch anderswo gerät der öffentlich-rechtliche Rundfunk unter Druck. Bei all diesen Debatten wird gerne über alle möglichen Details gestritten. Ein paar grundsätzliche Fragen werden oft vergessen, weshalb ich mich mal an einigen versucht habe.
1. Cui bono? – Wem nützt es?
Gestern tauchte ein sehr lesenswerter Artikel in meiner Timeline auf, der sich mit den wirtschaftlichen Hintergründen der No-Billag-Initiative in der Schweiz beschäftigte.
Nun ist die Situation in der Schweiz sicherlich speziell. Allerdings haben ja auch hier Politiker bereits die komplette Abschaffung von ARD, ZDF und Deutschlandfunk gefordert. Die veröffentlichen Argumente sind dabei sehr ähnlich: Man will nicht für etwas bezahlen, das man nicht nutzt, die Inhalte gefallen einem nicht (politisch oder qualitativ), überhaupt ist das alles viel zu teuer und der Markt regelt das schon.
Spannend wird es dann, wenn man mal hinter diese Argumente schaut (wobei ich vielen Aktivisten gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, gleich welcher Parteizugehörigkeit, unterstelle, dass sie wirklich hinter diesen Argumenten stehen und gar keine oder jedenfalls keine solche hidden agenda verfolgen, die über den eigenen Geldbeutel hinausreicht).
Follow the money!
Der klassischen Frage nach den wirtschaftlichen Hintergründen geht die Autorin Jacqueline Badran in ihrem Artikel zur No-Billag-Initiative nach und kommt darin grob gesagt zu dem Schluss, hinter der Initiative stehe ein größerer Plan von Verlagshäusern, an die Daten und Kunden des Werbevermarkters zu kommen, an dem die SRG beteiligt ist. Fazit: Sollte die Schweiz den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abschaffen, profitiert davon nur einer – der größte Konkurrent im Geschäft der Werbevermarkter.
Eine genauere Analyse der wirtschaftlichen Hintergründe würde sich vermutlich auch in Deutschland lohnen, wobei hier ein kurzer Blick auf die reichweitenstärksten Online-Werbevermarkter schon zeigt, dass die Situation nicht 1:1 übertragbar ist, weil der Markt in Deutschland fragmentierter ist.
In Deutschland vermengen sich allerdings gerade zwei Debatten – nämlich erstens die grundsätzliche über den Auftrag und die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und zweitens die der Verleger und des privaten Rundfunks darüber, was öffentlich-rechtliche Medien im Internet dürfen sollen. Vor allem im zweiten Fall ist klar, dass es um wirtschaftliche Interessen geht.
Es geht einfach darum, lästige Konkurrenten auszuschalten. Das mal klar und deutlich zu sagen, würde der Debatte möglicherweise gut tun.
Was ist das Geschäftsmodell von Verlagen?
Nein, das Geschäftsmodell von Verlagen ist meines Erachtens nicht, Inhalte zu erstellen und diese zu verkaufen. So war es vielleicht früher mal und so fühlt es sich ganz sicher für Nutzer und Journalisten meistens an, aber ich glaube, das geht an der wirtschaftlichen Realität in den meisten Verlagshäusern vorbei. Die Verlage sind ja nicht in die Bredouille geraten, weil Menschen wegen des Internets massenhaft ihre Zeitungsabos gekündigt hätten, sondern weil wegen des Internets weniger Menschen und Unternehmen in Zeitungen Anzeigen schalten.
Das bedeutet: Das Geschäftsmodell ist, Werbeumfelder zu schaffen, die man durch Inhalte attraktiv macht und deshalb Geld dafür verlangen kann. Genau das machen im Internet noch ganz viele andere auf ganz viele andere Weisen, deswegen funktioniert das nicht mehr so gut.
Es geht darum, die Konkurrenz abzuschalten
Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass kein einziger öffentlich-rechtlicher Sender Geld mit Werbung und Sponsoring im Internet verdient, weil es schlicht verboten ist. Es geht also den Kritikern an den öffentlich-rechtlichen Onlineangeboten nur um Reichweite. Das Kalkül: Wenn die Kunden nicht zur Konkurrenz kommen, kommen sie zu mir.
Wenn es ums Geschäft geht, eignen sich manchmal Vergleiche mit Geschäften. Nehmen wir an, ich habe ein Fachgeschäft auf der Hauptstraße. Nun kommt der Kollege aus dem Fachgeschäft gegenüber und sagt: „Mir gefällt dein Geschäftsmodell nicht, deswegen will ich, dass du deinen Laden zumachst.“ Also mache ich den Laden zu. Was machen meine Stammkunden dann wohl? Sie gehen zur Konkurrenz – das ist aber nur mit viel Glück der Laden auf der anderen Straßenseite. In vielen Fällen ist es vielleicht auch der Großsupermarkt am Stadtrand mit seinen kostenlosen Parkplätzen (ja, so was haben wir mit T-Online, den Portalen der 1&1-Gruppe und nicht zuletzt Yahoo durchaus auch), und manchmal kauft man auch was auf dem Flohmarkt (da heißen die Händler dann zum Beispiel RT Deutsch, Epoch Times oder tragen andere lustige Namen, die deren eigentliche Absichten gut verschleiern).
Gewonnen hat in diesem Szenario übrigens niemand. Und damit sind wir bei der zweiten Frage.
2. Was bringt es?
Verlage haben im Netz Probleme, weil ihr angestammtes Geschäftsmodell nicht mehr so gut funktioniert. Also haben sie versucht, Konkurrenten ausfindig zu machen, an denen das liegen könnte. Das waren vor etwa 10 Jahren schon mal die öffentlich-rechtlichen Sender. Damals dachte man, die Beschränkung der Verweildauern von Onlineinhalten würde es bringen. Danach dachte man, wenn Google keine Snippets mehr angezeigt bzw. Suchmaschinen dafür bezahlen, bringt das reichlich Geld in die Kassen. Beides hat bekanntermaßen nur so mittelgut funktioniert. Nun sind also wieder die Öffentlich-Rechtlichen dran.
Wo soll das enden?
Der Punkt ist: Es bringt nichts. Weil bis auf wenige Ausnahmen alle großen deutschen Medienhäuser das Internet verschlafen haben und es bis heute kein übergreifendes Bezahlmodell gibt, das der Atomisierung der Inhalte und der völlig fehlenden Markenloyalität im Netz etwas entgegen kommt, werden auch weiterhin Menschen nicht für Inhalte zahlen. Und mit Werbung verdienen Google, Facebook und Yahoo (ja, die gibt’s noch).
Meine persönliche Prognose: Es endet frühestens dann, wenn der letzte öffentlich-rechtliche Inhalt aus dem Internet verschwunden ist. So lange wird der Diskurs munter immer weiter in die gewünschte Richtung verschoben und die Diskussion immer wieder neu angefacht. Vielleicht endet das Ganze auch erst, wenn man noch ein paar öffentlich-rechtliche TV-Kanäle und Radiosender weggeklagt hat.
3. Warum ist diese „Presseähnlichkeit“ so wichtig?
Ein Dreh- und Angelpunkt der Debatte der Verleger ist die sogenannte „Presseähnlichkeit“ von öffentlich-rechtlichen Online-Inhalten. Alleine das Wort zeigt meines Erachtens schon, in welchem Jahrhundert man gedanklich lebt. Wenn man sein Geschäftsmodell darauf aufbaut, „Presse“ ins Internet zu drucken, hat man ganz sicher ein anderes Problem als ein paar umgeschriebene Radio- und Fernsehbeiträge.
Der Punkt ist: Die Nutzerinnen und Nutzer haben im Internet eine große Auswahl von Inhalten. Sie wählen dabei diejenigen, die in Form und Machart am besten zu ihrer Nutzungssituation passen. Das Kalkül der Verleger: Wenn öffentlich-rechtliche Sender keine Texte mehr anbieten (weil zu „presseähnlich“, als ob die Produktion von Texten nur Verlagen zustünde), kämen die Nutzer zu ihnen.
In einem Punkt haben sie recht: Text ist den Nutzern sehr wichtig, wie ein Gutachten der Beratungsfirma Goldmedia neulich herausgefunden hat:
„Für Nutzer von Online-Nachrichten ist Text die mit Abstand schnellste und effizienteste Medienform, die sie anderen Formaten wie Video oder Audio klar vorziehen. Bezogen auf die öffentlich-rechtlichen Nachrichten-Angebote im Internet bevorzugen sogar 81 Prozent der Befragten Textinhalte zur Information, die gern auch länger sein könnten. Das ist der Wunsch der Nutzer.“
Ist ja auch logisch, denn wenn ich morgens mit Bus und Bahn womöglich durchs Funkloch zur Arbeit fahre, will ich halt nicht mit einem Video das Verkehrsmittel beschallen und erst mal zehn Minuten warten, bis es geladen ist. Analog gilt das für Audioinhalte (deren funktionelle Einschränkungen ich hier mal eingehender analysiert habe).
Disruption kennt keine Landesgrenzen
So. Jetzt nehmen wir aber mal an, öffentlich-rechtliche Rundfunkanbieter könnten das mit dem Web-Video und -Audio richtig gut und ließen sich darauf beschränken. Die Verleger könnten sich voll und ganz auf die Monetarisierung ihrer textbasierten Inhalte fokussieren. Und was ist dann, wenn man nun in ein paar Jahren feststellt, dass Audios oder Videos werbevermarktungstechnisch der heiße Scheiß sind und viel mehr Geld einbringen als Text-Inhalte?
Und was passiert, falls RTL und ProSiebenSat1 in ein paar Jahren feststellen, dass ihre fancy Mediatheken Video-On-Demand-Plattformen so auch nicht erfolgreich sind und diese einstampfen, an Amazon oder Netflix oder die Telekom (jaaahaaaa, die machen auch in Content und Werbung!) verkaufen, welche eigene Plattform gibt’s dann noch?
Man muss sich bewusst machen: In der Schweiz und Österreich mögen sie Angst haben davor, von deutschen Medienkonzernen an die Wand gedrückt zu werden – in Deutschland ist es nicht anders. Dann kommen eben internationale Medienkonzerne und mischen den Laden auf. Disruption kennt nun mal keine Grenzen.
4. Wann sind Medien eigentlich unabhängig? – Stichwort „Staatsfunk“
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie man als Journalist abhängig von der Gunst anderer Menschen und Institutionen sein kann. Der beste Weg ist, dass man finanziell nicht unabhängig ist – dann ist man nämlich erpressbar: „Du berichtest so, wie ich will, dann bekommst du Geld von mir. Tust du das nicht, bekommst du kein Geld.“ Das ist es in etwa, was passiert, wenn Werbekunden wegen einer missliebigen Berichterstattung abspringen. Die Unabhängigkeit eines Mediums bemisst sich daran, wie leicht es so was verkraften kann.
Die andere Art von Abhängigkeit – und die ist wesentlich komplexer – entsteht, wenn es um das Verhältnis zu Menschen geht, auf die man angewiesen ist. Für die politische Berichterstattung ist es zum Beispiel essenziell, dass man hin und wieder mit Politikern sprechen kann und die einem Dinge sagen, die sie am besten nicht jedem erzählen. Wenn ein Journalist oder Medium dann missliebige Informationen veröffentlicht und sich den Zorn der/des Politikerin/Politikers zuzieht, kann das unangenehme Konsequenzen haben, bis hin zu den oben genannten, denn man kennt sich, der Unternehmer ist ja vielleicht der Kumpel aus dem Golfclub oder Schützenverein oder sogar der Partei. Oder der Politiker ist ein guter Kumpel des Chefs, der einen dann auch entlassen oder sonstwie quälen kann.
Und: So ein Politiker hat auch schon mal Hebel, die andere nicht haben. Zum Beispiel müssen ja private Fernseh- und Radiosender Lizenzen und Frequenzen beantragen oder bekommen diese bei Fehlverhalten schlimmstenfalls entzogen. Da hilft es, wenn man die richtigen Leute kennt.
In meiner Zeit im bayerischen Privatfunk habe ich es durchaus erlebt, dass mal ein Politiker in der Redaktion anrief, weil ihm ein Bericht oder eine Moderation nicht gefallen hatte. Und bei kleinen Radiosendern stellt man sich tunlichst gut mit lokalen Abgeordneten und Kommunalpolitikern, die natürlich immer gern gesehene Interviewgäste sind. Dafür legen die dann auch mal beim Sponsor oder Werbekunden ein gutes Wort ein.
Auch habe ich selbst gesehen, wie dann z.B. bei Sitzungen des Medienrates (das Entscheidungsgremium der Aufsichtsbehörde) der Minister, während er einer Beschlussvorlage zustimmt, noch demonstrativ hinter sich in die Runde guckt, ob das auch all die anderen tun, die das seiner Meinung nach tun sollten. Motto: Ich sehe, wie ihr abgestimmt habt und erinnere mich daran, wenn es was zu verteilen gibt.
All das ist nicht schön, aber auch nicht verwunderlich und ich finde es ehrlich gesagt auch ziemlich nachvollziehbar. Selbstverständlich sind kommerzielle Unternehmen finanziellem und regulatorischem Druck ausgesetzt. So ist das in einer Marktwirtschaft, die aus gutem Grund auch nicht alles dem Markt überlassen will.
Nur zeigt dies eben auch: Wenn es in Deutschland so was wie einen Staatsfunk gibt – also besonders politiknahe Medien – kann dieses Attribut ebenso gut dem Privatfunk angeheftet werden. Von der Politik wurde privater Rundfunk übrigens in den 1980ern genau deshalb gefördert, weil man in ihm eine besonders pflegeleichte Konkurrenz zum öffentlich-rechtlichen „Rotfunk“ etablieren wollte (ironischerweise auf Kosten des Breitbandausbaus). Der Deutschlandfunk zitiert den damaligen Postminister Christian Schwarz-Schilling mit den Worten:
„Das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen war in dieser Zeit mit einer absoluten linken Schlagseite versehen.“
Und weiter heißt es im Beitrag:
„Das Kalkül der Union: Wenn man schon nicht Sendungen wie ,Monitor‘ und ,Panorama‘ beeinflussen kann, dann soll es zumindest Konkurrenz von außen geben: durchs Privatfernsehen, eingespeist in die Kabelnetze.“
Letztendlich steht und fällt der Grad der Staatsferne in beiden Systemen mit dem Rückgrat, das die handelnden Personen in den Redaktionen beweisen. Das Problem im redaktionellen Alltag sind also nicht so sehr Politiker in formellen (Gremien) und informellen Kontrollfunktionen, sondern vor allem Medienmanager und Chefredakteure, die ihnen nichts entgegensetzen, weil ihr Rückgrat eher so molluskenartig ist.
Gerade in den oben genannten Beispielen aus meinem frühen Berufsleben zeigte sich das besonders deutlich: Obwohl ich immer wieder Vorgesetzte hatte, die der einen oder anderen Partei nahestanden, hatte ich das Glück, dass die meisten davon zuallererst Journalisten waren. Da war dann auch klar, dass bestimmte Verhaltensweisen nicht tolerierbar sind und über manchen Politikeranruf lachten wir alle herzlich oder quittierten ihn mit einem Schulterzucken. Das war’s dann mit der politischen Einflussnahme.
5. Wer kann sich eigentlich regionale Berichterstattung leisten?
Ich persönlich glaube, dass wir – wenn die Diskussion um die „Presseähnlichkeit“ mal vom Tisch ist – bald schon über die Defintion von regionaler und lokaler Berichterstattung diskutieren müssen. Ein bisschen zeichnete sich diese Argumentationslinie ja schon bei der Klage der nordwestdeutschen Zeitungsverleger gegen Radio Bremen ab. Der Rundfunkstaatsvertrag verbietet eine „flächendeckende lokale Berichterstattung in Telemedien“ – gerade in kleineren Bundesländern oder Stadtstaaten können daraus Verlagsjuristen und -lobbyisten sicherlich viel Honig saugen.
Die entsprechende Bestimmung des Rundfunkstaatsvertrags dient dazu, Lokalzeitungen zu schützen. Das ist gut. Doch spielen wir das Spielchen nun noch ein bisschen weiter: Was passiert denn, wenn ich einer Region lebe, in der keine lokalen Medien mehr existieren, weil sie sich nicht lohnen? Wer kümmert sich dann um meine Grundversorgung mit lokalen Informationen?
Nun haben wir ja in der jüngeren Vergangenheit eine erstaunliche Renaissance des Lokaljournalismus gesehen. Aber nicht jeder wohnt in Prenzlauer Berg oder in Ballungsräumen mit in einer Medienlandschaft, die von Monopolisten geprägt ist (ich grüße an dieser Stelle die Prenzlauer-Berg-Nachrichten, die Tegernseer Stimme und das Heddesheimblog).
Manche wohnen auch in der Eifel, im Hunsrück oder in der Uckermark. Da wird’s medientechnisch ziemlich schnell ziemlich düster, wenn der lokale Monopolist mal aufhört.
Das ist übrigens auch in der eingangs erwähnten Schweiz einer der Dreh- und Angelpunkte der Diskussion: Ein teures Sendernetz in einer der topografisch herausfordernsten Gegenden Europas und Medien in Sprachen, die nur von wenigen Menschen im Land gesprochen werden, kosten Geld. Ob sich ein rätoromanischer Radiosender kostendeckend betreiben lässt, daran gibt es begründete Zweifel.
Und, auf Deutschland übertragen: Wer sendet denn hier z.B. auf Sorbisch? (Spoiler: Bei radio.de gibt’s einen Treffer)
Disclaimer, nur für den Fall, dass das nicht klar ist: Ich arbeite für den SWR, eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt. Und zwar aus Überzeugung.
Titelfoto: starmanseries / Flickr – Einige Rechte vorbehalten (CC BY)