Wie der Kampf gegen Hasskommentare zum Problem für die Pressefreiheit werden kann

In der Theorie klingt es schön einfach: Damit wir den Hass rausbekommen aus sozialen Netzwerken, verdonnern wir einfach die Betreiber, den Schmutz zu löschen. Dass das auch nach hinten losgehen kann, merken wir erst hinterher.

Lesezeit: 6 Min., von Titus Gast gepostet am Wed, 29.3.2017
Tags: hate speech, hasskommentare, soziale netzwerke, journalismus, onlinejournalismus, politik

In der Theorie klingt es wirklich schön: Wenn Betreiber sozialer Netzwerke dazu verpflichtet wären, Hasskommentare zu löschen, dann hätten wir nicht so viele davon und müssten uns nicht immer darüber ärgern, wenn Facebook – meistens geht es in dieser Diskussion ja nur um ein Netzwerk – uns wieder mitteilt, dass man beim gerade gemeldeten Inhalt keinen Verstoß gegen die Gemeinschaftsrichtlinien habe feststellen können.

Gesetz gegen Hate Speech

Was nun allerdings als Gesetz diskutiert wird, geht weit über dieses Ziel hinaus. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist der Sinn dieses Gesetzes, dafür zu sorgen, dass andere – bereits bestehende – Gesetze eingehalten werden. Denn auch wenn es immer wieder beschworen wird: Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, das Strafgesetzbuch gilt natürlich auch bei Facebook (wie ja auch einige Urteile gegen Hassposter immer wieder eindrucksvoll zeigen). Wenn man nun also ein Gesetz gegen Hasspostings haben will, ist das ein bisschen so, als erließe man ein Gesetz, das hohe Strafen vorsieht, wenn man sich nicht an die Straßenverkehrsordnung hält. Ein Gesetz, dessen Zweck die Einhaltung anderer Gesetze ist – absurd.

Freie Meinungsäußerung ist ein stacheliges Biest

Auch in diesem Fall zeigt sich, dass unser Problem nicht die Rechtslage ist, sondern die Durchsetzung derselben. Wer mal versucht hat, üble Postings oder Kommentare unter rechtlichen Gesichtspunkten zu fassen zu bekommen, weiß, dass das gar nicht so einfach ist. Hater sind meistens sehr geschickt darin, ihre Botschaften so zu formulieren, dass sie noch als freie Meinungsäußerung durchgehen können. Daran kann auch ein Gesetz nicht viel ändern. Ein stacheliges Biest, diese freie Meinungsäußerung.

Im oben verlinkten Artikel zeigt Markus Reuter bei Netzpolitik.org noch weitere Probleme des geplanten Gesetzes auf: 1. den fehlenden Richtervorbehalt, der zu einer privaten Rechtsdurchsetzung führt, 2. den ausgeweiteten Straftatenkatalog in der neuesten Version und 3. das destruktive Potenzial, das solch ein Gesetz haben könnte für eigentlich wünschenswerte Inhalte und Leute, die sich gesellschaftlich engagieren. Denn:

Wenn jeder sehr einfach die Identität von Nutzern bei den Plattformen erfragen kann, führt der Einschüchterungseffekt zu einer erheblichen Einschränkung der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit und bedroht Whistleblower. Darüber hinaus bietet solch ein Auskunftsanspruch ohne Richtervorbehalt Missbrauchspotenziale für andere Formen der Hasskriminalität. Nutzer könnten sich zum Beispiel Adressen zur Bedrohung anderer „im echten Leben“ verschaffen.

Das ist ja nur ein Zukunftsszenario. Wer weiß, ob das wirklich alles so kommt. Und nochmal: Warum ist das alles so schlecht?

Wie sich Journalisten selbst das Wasser abgraben

Dass die Idee einer scharfen Hate-Speech-Gesetzgebung nicht nur unter Politikern, sondern auch Journalisten Sympathisanten hat, ist bei alledem einigermaßen verwunderlich. Wobei, eigentlich auch nicht so richtig … Waren es doch „die Medien“, die dieses Thema erst auf die Agenda gebracht haben, aus eigener Betroffenheit heraus. Wer täglich den Müll in den eigenen Kommentarspalten in den Griff bekommen muss, wünscht sich natürlich, dass da „mal jemand was tut“.

Dass es nun medienseits keinen Aufschrei gibt, hat – fürchte ich – viel mit fehlender Medienkompetenz zu tun. Steile These: Viele Journalisten und Politiker finden es klasse, wenn Facebook und Co. Inhalte rausfiltern sollen, die ihnen nicht passen. Dass ihre eigenen Inhalte davon betroffen sein könnten, kommt ihnen erst dann in den Sinn, wenn es sie trifft (und sie nichts unternehmen können, weil kein Richtervorbehalt). So weit kommt es nicht?

Die Geschichte vom „Recht auf Vergessenwerden“

Das oben beschriebene Szenario existiert noch nicht. Natürlich. Was aber bereits existiert, ist das „Recht auf Vergessenwerden“, das nur in Europa gilt und nur für Google – auf Basis eines Gerichtsurteils.

Das führt dazu, dass Leute wie ich, die sich z.B. bei großen Medienhäusern mit Suchmaschinenoptimierung befassen und die entsprechenden Tools verwenden, mehr oder weniger regelmäßig Mails bekommen, in denen einem mitgeteilt wird, dass einzelne Seiten aus dem Index geflogen sind, weil das jemand beantragt hat. Das liest sich so:

Guten Tag, aufgrund eines Antrags gemäß europäischem Datenschutzrecht wird mindestens eine Seite Ihrer Website bei Suchanfragen zu bestimmten Namen oder anderen identifizierenden Bezeichnungen einer Person nicht mehr in unseren Suchergebnissen angezeigt. (…)

Wir legen nicht offen, welche Suchanfragen davon betroffen sind. (…)

Sie können uns bei Bedenken benachrichtigen (…)

Falls Sie über zusätzliche Informationen bezüglich des Inhalts einer Seite verfügen, die aus Ihrer Sicht ein Rückgängigmachen der Entscheidung rechtfertigen, können Sie Google benachrichtigen. Bitte beachten Sie, dass wir zwar alle Anträge lesen, aber nicht immer antworten können. Auf dieses Formular können nur registrierte Website-Inhaber zugreifen.

Als Seitenbetreiber wird mir also nicht mitgeteilt, wer beantragt hat, dass Verweise auf seinen Namen einfach nicht mit Artikeln auf meiner Website verknüpft werden. Ich kann dagegen Einspruch einlegen; ob’s was bringt und den Einspruch überhaupt jemand liest, möchte mir Google nicht mitteilen.

So fühlt sich private Rechtsdurchsetzung an

Dieses „Recht auf Vergessen(werden)“ hört sich für Laien total toll an: Wenn mir Inhalte über mich nicht mehr passen, kann ich sie einfach melden und dann verschwinden sie. Schöne Sache.

Bei Google steht dann unten auf den Ergebnisseiten:

„Einige Ergebnisse wurden möglicherweise aufgrund der Bestimmungen des europäischen Datenschutzrechts entfernt.“

Mein Eindruck ist: Das wird inflationär genutzt, weil Google mehr oder weniger ein einfaches Tool für die Durchsetzung dieses „Rechts auf Vergessenwerden“ zur Verfügung gestellt hat. Seite melden – schon habe ich mein Recht durchgesetzt. Das Ergebnis ist in den meisten Fällen für die Seitenbetreiber allenfalls ärgerlich, keinesfalls bedrohlich. Aber: De facto ist es ein staatlich (oder in diesem Falle gerichtlich) verordneter Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit.

Denn was wäre, wenn nun ein Politiker auf diesem Wege missliebige Inhalte aus dem Google-Index tilgen ließe? Natürlich könnte man was dagegen unternehmen. Wenn Google die entsprechenden Mitteilungen liest und akzeptiert; wenn nicht … Jeder, der schon mal einen Kommentar bei Facebook gemeldet hat, der dann nicht gelöscht wurde, kennt das.

Wir müssen öfter den Müll rausbringen

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich bin durchaus für ein hartes Vorgehen gegen Hasskommentare. Vor allem dort, wo wir Medienunternehmen direkt Einfluss haben, lassen wir oft viel zu viel Müll stehen, anstatt von unserem Hausrecht Gebrauch zu machen und eine einigermaßen gesittete Diskussion zu fördern.

Auch die Idee eines „Klarnamen-Internets“ finde ich aus dieser Perspektive nicht gar so schrecklich – zumindest in Bezug auf soziale Netzwerke, wo ich schon ganz gerne weiß, mit wem ich mich da unterhalte. Ich weiß aber auch, dass es Szenarien gibt, in denen man von so einer Regel eine Ausnahme machen sollte. Und man sieht zudem täglich bei Facebook, dass es nicht gar so viel bringt; Hardcore-Hater haten auch unter Klarnamen.

Ob harte Gesetze und die Auslieferung an eine konzerninterne Rechtsdurchsetzung das ändern können? Ich bezweifle das. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die Kollateralschäden keiner von uns will.

Titelbild: „Protest meeting at Beresford Place, and the arrest of Count Plunkett“, Brendan Keogh, 1917; Quelle: New Old Stock


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