Krisenbilder: Eine kleine Geschichte

Lesezeit: 4 Min., von Titus Gast gepostet am Fri, 15.1.2010
Tags: internet, italien, medien, zeitung

Wenn mich jemand fragen würde, was das für ein Bild da oben im Header zu diesem Blog ist, ich würde antworten: Das ist das Bild zur Krise. Zur Zeitungs- und Medienkrise. Und deshalb möchte ich doch die ganze Geschichte dieses Bildes erzählen.

Wir befinden uns irgendwo an der italienischen Adriaküste, irgendwann in einem Sommer, irgendwann weit nach dem Jahr 2009. Das war das Jahr, in dem alles begann. Die Medienkrise, die in den USA schon die ersten Zeitungen dahingerafft hatte, kam nach Europa. Wie schon zuvor in den USA, gab es nun auch hier immer mehr Blätter, die seit Monaten keine Gewinne mehr machten, weil immer mehr Abonnenten das Blatt abbestellten. Viele Lokalzeitungen erschienen nur noch ein- bis zweimal pro Woche, andere machten ihre Lokalredaktionen dicht, wieder andere fusionierten mit größeren Konkurrenten. In Deutschland wurden die Rundfunkgebühren drastisch erhöht, wobei ARD und ZDF nur noch zwei Drittel ihrer früheren Gebühreneinnahmen zur Verfügung standen, der Rest floss als „Programmförderung“ an private Medienunternehmen. Seitdem hat zwar eine beispiellose Fusionswelle öffentlich-rechtliche und private Medienhäuser erfasst, aber es gibt immerhin noch in jeder Großstadt mindestens eine Zeitung, die oft sogar noch von einigen Hundert Menschen gelesen wird. Restauflagen werden sonntags in der Kirche verteilt.

Besonders schlimm traf die Medienkrise aber Italien. Weil hier schon lange kaum ein Zeitungsleser mehr ein Abo abgeschlossen hatte, hatten die Zeitungen auch keine Möglichkeit, ihr Publikum an E-Paper oder reine Online-Abonnements heranzuführen. Stattdessen merkten sie erst, dass sich etwas änderte, als die Verkaufszahlen an den Kiosken immer schneller sanken. Viele schoben dies aber lange auf das schöne Wetter. Schließlich brachte 2010 einen echten Jahrhundertsommer. Hinzu kam, dass Mediaset (das Unternehmen, das den Kindern des mittlerweile auf Lebenszeit gewählten Ministerpräsidenten Berlusconi gehörte) alle drei Programme der einst staatlichen RAI übernommen hatte und dies mit quotenstarken Miss-Wahlen feierte.

Das erste RAI-Programm war außerdem zu einem Nachrichtenkanal umgebaut worden. Es berichteten aber nicht Moderatoren und Redakteure, sondern es wurden nacheinander sämtliche größeren Polizeiposten des Landes zugeschaltet, in denen der Medienpolizist vom Dienst von den Verbrechen des Tages berichtete, angereichert durch Amateurvideos, offizielle Polizeivideos und Live-Schaltungen zu spektakulären Verhaftungen oder Verfolgungsjagden. Zwischendurch gab es immer wieder Politik-Talkshows, in denen meist junge, gutaussehende Politikerinnen der Regierungsfraktion gegenüber älteren, blutleeren Oppositionsvertretern mehr Geld für Sicherheit und Polizei forderten. Schon bald war das Genre der Polit-Spielshow erfunden – immer neue Spiel-Shows mit den früheren Talkshow-Teilnehmern sorgten für Quotenrekorde. Unterbrochen wurde das Programm etwa alle zehn Minuten durch Werbung für Sicherheitsdienste, Waffen und allerlei Dinge, die man brauchen könnte, um Einbrecher zu verjagen.

Als die Auflagen der Zeitungen – auch ausgelöst durch die quotenstarken TV-Sendungen – immer schneller zu sinken begannen, wurde auch in Italien der Ruf nach Subventionen lauter. Allerdings kam er hier nicht so sehr von den Medienunternehmen (die ja fast alle dem Ministerpräsidenten gehörten und deshalb schon seit Jahren mehr oder weniger heimlich subventioniert wurden), sondern von der Vereinigung der Zeitungskioskbesitzer. Denn diese fürchteten nun um ihre Existenz. Als Anfang 2011 fast alle Zeitungskioske für eine Woche streikten, brach ein Sturm der Entrüstung los, die Bürger demonstrierten in großen Massenkundgebungen für den Erhalt der Kioske. Der Grund dafür waren aber nicht die fehlenden Zeitungen, sondern die Rubbellose und Aufladekarten für Prepaid-Handys, die es an fast jedem Kiosk zu kaufen gab. Auf öffentlichen Druck hin wurde ein gigantisches Hilfsprogramm für die Kioskbesitzer aufgelegt. Da allerdings auch jedem klar war, dass diese ohne Zeitungen (es gab mittlerweile nach mehreren Fusionen nur noch eine, die Berlusconi gehörte) kaum überleben konnten, ersann eine überparteiliche Kommission eine andere Lösung: Die Abwrackprämie für Zeitungskioske. Jeder Kioskbetreiber, der seine „Edicola“ aufgab, bekam ein Stück Land zugesprochen, vom Ministerpräsidenten persönlich ein Tütchen mit Samen überreicht, und durfte hier nach Lust und Laune Landwirtschaft betreiben, um seine Existenz zu sichern. Viele machten davon Gebrauch und benutzten fortan ihre früheren Arbeitsstätten als Hütten, um landwirtschaftliche Geräte unterzubringen oder sich bei Regen unterzustellen.

Schon Mitte 2012 waren die Kioske aus Italiens Städten fast verschwunden (bis auf die wenigen, die ausschließlich Rubbellose und Prepaid-Karten verkauften). Dafür waren die Hügel und Felder übersät mit Zeitungskiosken. Ganz genau so wie der Acker in diesen Fotos, irgendwo an der italienischen Adriaküste, irgendwann in einem Sommer, irgendwann…

Ach, Moment mal: Die Bilder stammen ja alle aus dem Jahr 2009. Nichts von alledem ist je passiert. Außer der Tatsache, dass da irgendwo in einem Maisfeld am Meer dieser Zeitungskiosk stand und ich meine Kamera dabei hatte. Dafür, dass er geschlossen hat, erzählt der ganz schön durchgeknallte Geschichten.


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