Marken, Journalisten, Sponsoring und eine ganz unselige Diskussion

Lesezeit: 4 Min., von Titus Gast gepostet am Thu, 22.8.2013
Tags: journalismus, onlinejournalimus, sponsoring, youtube

Oh. Wow. Da hat Martin Giesler ja mächtig was losgetreten. Da guckt man mal zwei Tage nicht in seine Twitter-Timeline (ja, das mag sträflich sein, aber ich stehe dazu) und erfährt dann über den halbwegs altmodischen Weg Newsletter – in diesem Falle von Spotify Storify – von einer echten Popcorn-Diskussion. Was ist passiert?

Angefangen hat wohl alles mit einem Blogeintrag von Martin Giesler, in dem er etwas pointiert darstellt, warum er keine Marke sein möchte, sondern sich als Journalist nur den Inhalten verpflichtet fühlt. Überschrieben hat er das Ganze mit „Aufmerksamkeitsspackos überall“ und geht darin auch Tilo Jung mit seinem gesponserten YouTube-Channel „Jung & Naiv“ an. Die daran anschließende, heftige Twitter-Diskussion hat Markus Anhäuser bei Spotify Storify sehr schön dokumentiert, auch Martin Giesler selbst hat die Tweets gesammelt.

Ich versuche mal, Martins Kernthesen zusammenzufassen:

  1. Journalisten sollten sich nicht zur Marke machen.
  2. Sponsoring im Journalismus führt zu Abhängigkeit und bedroht eine unabhängige Berichterstattung. Zitat: „Was macht es auch für einen Unterschied, wenn ich mich erst über Google selbst vermarkte, dann von Google bezahlen lassen und dann über Datenschutz berichte?“

Und weiter geht es:

“Journalismus verkommt Dank der sozialen Netzwerke und der These, dass jeder zur Marke werden müsste, zu einem neoliberalen Markt der Eitelkeiten, in denen die gleichen Gesetze gelten wie in der Konsumgüter-Industrie – die schrillste Werbung, die einfachste Botschaft, das simpelste Produkt gewinnt.“

Ich habe so meine Zweifel, ob das Phänomen, das Martin hier zu beobachten glaubt, so neu ist. Die eigentliche Kernfrage wird aber in der sich anschließenden Diskussion gar nicht gestellt: Warum ist denn „Jung & Naiv“ so erfolgreich, dass Firmen Tilo Jung dafür bezahlen? Und was hat das mit der Zukunft des Journalismus zu tun?

Meine These ist: Offensichtlich macht Tilo Jung irgendwas richtig mit seinen Inhalten.

Ob als Marke jetzt Tilo Jung, YouTube, Google oder ein anderer Name draufpappt, ist völlig egal. Die Marke transportiert in diesem Fall nur den Inhalt. Und offensichtlich macht Tilo Jung etwas, was im klassischen Journalismus nicht (oder noch nicht ausreichend) stattfindet: Er begibt sich auf Augenhöhe (ich kann es auch nicht mehr hören, aber mir fällt kein besseres Wort ein) mit seinen Usern. Er stellt ihre Fragen. Er macht dadurch eine Distanz offensichtlich, über die normalerweise nur in jammernden, herablassenden Artikeln über Politikverdrossenheit berichtet wird; gleichzeitig überwindet er durch seine Fragen diese Distanz, nicht ohne damit so manche Floskel zu demaskieren.

Preisfrage: Was ist der Job eines Journalisten und wer bezahlt dafür?

Das ist in der Politikberichterstattung eine urjournalistische Aufgabe, und mir ist ehrlich gesagt völlig egal, wer so was bezahlt und ob hier vielleicht eine Win-Win-Situation dadurch entsteht, dass seine Plattform YouTube (als Google) damit auch noch Geld verdient oder nicht. Ich will als User, dass jemand kritische Fragen stellt und mir Dinge erklärt, die ich nicht verstehe. Das ist der verdammte Job eines Journalisten.

Transparenz ist gefragt

Natürlich ist es wünschenswert, dass so was unabhängig von finanziellen Interessen geschieht. Aber es ist eben genau das: wünschenswert. Womöglich auch Wunschdenken. Selbst ein angestellter und hervorragend abgesicherter Journalist ist abhängig – und sei es nur vom Unternehmen, für das er arbeitet. Wie famos das immer noch funktioniert, haben wir ja alle bei der wahnsinnig kritischen Berichterstattung über das sogenannte „Leistungsschutzrecht“ gesehen. Wenn jeder Journalist seine Abhängigkeiten offenlegen würde, wären wir schon einen großen Schritt weiter.

Eine Frage der Haltung

Und dann schreibt Martin Giesler ganz klein als Anmerkung am Ende seiner Zusammenfassung der Diskussion:

„Ich gönne Tilo seinen Erfolg. Ich kann ihn nur unter diesen Bedingungen als redlichen Journalisten nicht ernst nehmen.“

Ist das Journalismus oder kann das weg?

Mit derselben arroganten Haltung ließe sich argumentieren, dass Corporate Publishing (beispielsweise in „Mobil“, dem Kundenmagazin der Bahn und mutmaßlich einem der meistgelesenen Blätter Deutschlands) kein Journalismus ist. Man könnte – bei einem anderen Standpunkt, aber derselben Haltung – sogar von staatlichem Fernsehen sprechen, wenn man öffentlich-rechtliches meint, und ihm somit die journalistische Unabhängigkeit absprechen.* Spätestens an diesem Punkt müsste es einem eigentlich dämmern, dass sich zwischen Schwarz und Weiß ganz viel Grau befindet und dass diese Farbe nicht hässlich sein muss, solange man sich nicht hinstellt und rausposaunt: „Seht her, was ich für tolle weiße Klamotten habe!“ – und damit in Wahrheit die schwarzen Schuhe, die hellgraue Hose und die vielleicht cremefarbene, aber keinesfalls weiße Weste meint.

Achja … Auch wenn man keine Marke sein will – spätestens wenn man so eine Diskussion unter seinem Namen lostritt, ist man eine. Die Marke Martin Giesler steht nun sehr klar für bestimmte Werte und Haltungen. Honi soit qui mal y pense.

*Hinweis: Ich arbeite selbst für ein öffentlich-rechtliches Medienunternehmen. Die skizzierte Haltung ist natürlich nicht meine und ich bin der Überzeugung, dass die öffentlich-rechtlichen Medien vergleichsweise große journalistische Unabhängigkeit gewährleisten.

Nachtrag: Warum ich in einem Anflug geistiger Umnachtung zunächst statt Storify Spotify geschrieben habe, darüber muss ich noch nachdenken.


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